Susanne Schmitt & Cornelia Ertl

Das wohltemperierte Schaufenster

 

Als die Bewohner*innen der nordatlantischen Städte Mitte des 19. Jahrhunderts begannen, die ersten »Wardian cases« – die Vorläufer der heutigen Terrarien und Aquarien – für ihre Wohnzimmer zu kaufen, wurden sie Vorreiter*innen der Verbreitung einer erstaunlichen Einsicht: Aquatische Ökosysteme müssen sich in einem chemischen und biologischen Gleichgewicht befinden, um (über) leben zu können. Diese für uns heute selbstverständliche Erkenntnis war neu und entscheidend für die Entwicklung der Ökologie als wissenschaftliche Disziplin. Es dauerte nicht lange, bis das zugrunde liegende Prinzip, der hydrologische Kreislauf, auf Aquarien, wie wir sie heute kennen, angewandt wurde: geschlossene Ökosysteme, in denen alle Akteure ihren wichtigen Platz haben und durch Stoffkreisläufe miteinander verbunden sind. Plötzlich schwappten Unterwasserwelten, bis dahin in der öffentlichen Vorstellung unheimliche Orte, die man nur aus schaurigen Geschichten und Zeichnungen kannte, in die Städte: Sie verschoben ökologische Vorstellungen und besetzten einen komplexen Platz zwischen wissenschaftlicher Bildung und Unterhaltung mit Untertönen, die zwischen respektvoller Ehrfurcht und extraktivistischem Geschäftssinn oszillierten. Die Aquarienhaltung wurde zu einem globalen Wahn, einer »Manie«. Aquarien wurden zu Grenzobjekten, die verschiedene soziale Gruppen unter dem Schirm einer gemeinsamen wissenschaftlichen und ästhetischen Faszination zusammenführten.

»Das wohltemperierte Schaufenster« war Teil der Rauminstallation Haptic Hortus, die zuvor in einem Nagelstudio gastierte und dort Spuren der Berührung zwischen Spezies in Unterwasserbecken und Seerosengärten nachzeichnete. Bei ZNE! stellt die Arbeit neue Fragen zur »Domestizierung« – die absichtlich nicht als rein genetischer Prozess »missverstanden« wird, sondern als eine Art der materiellen und logistischen Durchquerung von Orten, die als »menschlich« oder »mehr als menschlich« gelten. Das Video, entstanden im Botanischen Garten Berlin, lenkt die Aufmerksamkeit auf die bescheidenen und kuriosen Ursprünge eines Paradigmenwechsels, den wir heute als selbstverständlich ansehen – die Wohnzimmer des neunzehnten Jahrhunderts. Mit zu sehen ist dabei die Arbeit »Two Sensoria«, die die Arbeit der Wassergärtner*innen im Victoriahaus des Botanischen Gartens Berlin aufgreift – eine weitere Facette von Fürsorgezyklen und Interdependenz im abgeschlossenen Systemen.

Auf die Nicht/Verfügbarkeit von pflanzlichem Leben geht dabei der Textbeitrag von Cornelia Ertl ein. In »Victoria amazonica« werden Imposanz und Fragilität der Riesenseerose erkundet und die Möglichkeiten und Grenzen künstlicher Umgebungen für pflanzliche Wesen beleuchtet.