Otmar Sattel

Gras-Glas-Ton-Maschine II 2010

Die Energieskulpturen des Künstlers Otmar Sattel sind wieder aktuell. Oder vielleicht waren sie das immer, und nur die mit ihnen verbundenen Fragen nach dem Verhältnis von Gesellschaft und Natur werden seit ihrem Entstehen in den späten 1980er-Jahren heute wieder neu gestellt. Angesichts des Klimawandels suchen die westlichen Industrieländer erneut nach raffinierten Alternativen zu Öl und Atomenergie. Die Wiederkehr technischer Lösungen ist wie ein Déjà-vu. Welche Lobby hatte in der Zwischenzeit ihre Interessen durchgesetzt? Und warum hat die Gesellschaft nicht umgedacht? Ist sie so fixiert auf den technischen Fortschritt? Bei all den technischen Lösungen wird deutlich, dass es nicht ohne ein Umdenken in Sachen Lebensstil gehen kann. In diesem Zusammenhang bekommt die künstlerische Arbeit von Sattel etwas Prophetisches.

Um natürliche Prozesse sichtbar zu machen, erfand Otmar Sattel eine Maschine, die Gras-Glas-Ton-Maschine II: Ein großer Glaskubus – eine Anleihe aus der Minimal Art – gefüllt mit Heu, das als Isolierung für einen weiteren natürlichen Prozess unbestimmter Dauer dient. Denn das Heu hält die Umgebungstemperatur konstant für ein Kesselsystem mit Rohren, in dem ein Gemisch aus Zucker, Hefe und Nährsalzen gärt. Daraus steigen Schwefel, CO2 und andere Gase auf und bringen die Luftsäule zum Schwingen, was einen unheimlichen Ton erzeugt. Sattel vertont also auf diese Weise einen organischen Prozess und gibt dem Vorgang eine akustische Präsenz; Natur war nicht länger ein stilles geschlossenes System.

Den Begriff Maschine verwendet Sattel ironisch, denn seine Maschine funktioniert autonom, »die Natur läuft rund um die Uhr«. Einerseits spielt er so auf das technische Paradigma in der modernen Kunstgeschichte an. Andererseits präpariert er die Natur als Maschine, damit sie das Bewusstsein einer Gesellschaft reflektiert, deren Selbstverständnis auf technologischer Machbarkeit fußt. Wo Technik als einzige Antwort erscheint, werden andere Lösungen selten in Betracht gezogen. Deshalb steht das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Natur noch immer als größere übergeordnete Frage da. Wie etwa Buckminster Fuller definiert Sattel die Naturbeobachtung als Lernvorgang, sie gehört zum festen Bestandteil seiner gestalterischen Praxis. So entsteht im künstlerischen Spiel mit der Natur und ihrer Raffinesse eine Allegorie auf eine mögliche Existenz jenseits der Technokratie.
Text: Vera Tollmann