Eine Art Forschung, bei der es keineswegs forsch zum Ziel heißt – die Wissenschaftstheorie ist zu eng, aber künstlerische Freiheit läßt Sprünge zu, hinter die Wirklichkeit der Phänomene. Petra Maitz spiegelt Gemeinschaften der Natur und des Menschen als ein Bild des Entstehens infolge der Aktion vieler, animiert Frauen und Männer per Inserat zum Häkeln von Korallen in freier Interpretation. Mit dieser Methode macht sie das Projekt zum Kunstprojekt, organisiert kollektives Schaffen, die Methode des Korallenriffs selbst sich für dessen Darstellung zu eigen machend.
Dietmar Meisel
12.09.2011 , Hamburger Abendblatt, 12.09.2011, Annette Stiekele
»Es finden sich viele starke Positionen und nur wenig symbolische, etwa wenn die Brasilianerin Néle Azevedo Eisfiguren auf öffentlichen Treppen der Schmelze überlässt. Es bleibt die bittere Erkenntnis, dass Künstler ohne die Unterstützung der Politik die Welt nicht retten können. Aber sie machen das Unsichtbare sichtbar und schaffen im besten Fall eine neue Wirklichkeit. Der Besuch der Ausstellung ist sehr zu empfehlen.«
Link zum Artikel Hamburger Abendblatt 2011
Über Lady Musgrave Reef und warum es einen FÄN braucht, von Dr. Petra Maitz
Dr. Petra Maitz, Wien / Hamburg, Künstlerin und Transferwissenschaftlerin
Es geht um die Stärkung der Vorstellungskraft, um das Unterstützen des Spekulativen, um das Erzeugen von Analogien; um „unsystematische Offenheit“ für ein „Geflecht von Ganzheitsvorstellungen“, als die der erweiterte Kunstbegriff von Beuys lesbar ist, oder mit Alexander von Humboldt, „wer die Natur nicht liebt, kann sie nicht erforschen“.
Während meiner nun schon sehr lang andauernden Arbeit am Lady Musgrave Reef, Start 2001 in Wien, waren all jene Gedanken und Tatsachen über Wirkungsweise und Setzungen im Kunstgeschehen von mir mitgenommen worden, die heute einen Fonds für Ästhetik und Nachhaltigkeit fordern. „Ich wunderte mich, dass ich immer noch so fröhlich war“.
Ein kollektives Schaffen war schon damals das Ziel meiner Recherchen: wie kann ich das Desaster in den Meeren vor meiner Nase, im Australian Great Barrier Reef oder auch ganz einfach im Mittelmeer in Triest thematisieren?
Gemeinsame Arbeit zwischen Marinebiologen und Meeresforschern und den MitarbeiterInnen, die alle Korallen häkelten, im Auftrag einer Kunst-Handlung war das Ziel meines Eingreifens. Der open call von 2002 in Wien war der erste der Welt, lanciert von der in Wien gegründeten Lady Musgrave Reef Foundation. Häkeln für die Weltmeere! Aber natürlich mit einem breiten Wissenskatalog als Ausstellung so gestaltet, sodass nachvollziehbar das Wachsen eines natürlichen zu einem künstlich menschengemachten Riff spielerisch erlernt werden konnte. In dieser Aisthesis wurden wir vorangetrieben: ohne Sinnlichkeit keine Erkenntnis, ohne Erkenntnis kein Fortschreiten. Das gegenseitige Inspirationsmodell von Marinebiologen und den menschlichen Akteuren zum Bau eines „gehäkelten Riffs“ war wunderbar. Ich vernetzte Wissenschaftler mit Laienkünstlern und trat als Konzeptkünstlerin in den Hintergrund. Das Werk entwickelte sich von selbst zu einer Plattform der Diskussion und wirkt in vielen Bereichen nach. Mit der Schaffung eines
Fonds könnte man mehrere solcher Projekte ermöglichen, die wie einst in frühen Vorzeiten der Menschheitsgeschichte so ein Umdenken ermöglichten.
Heutige Preisgelder oder Fördermittel für Kunst zielen oft auf den Publikumserfolg der Ausstellungen, das ist nicht zielführend, denn hier geht es um Erforschung unserer Lebensgrundlagen. Der Erfolg von Fördermitteleinsatz ist neu zu definieren und nicht mit der „Freiheit der Kunst“ zu verwässern. Das führt leider zu gar nix außer den schon vorhandenen Tendenzen der Kommerzialisierung der Kunstproduktion.
Wenn Wissenschaft und Kunst in regem Austausch neue Wege des Erkennens vermitteln und uns im Idealfall miteinbeziehen begeben wir uns in Lernprozesse mithilfe Ästhetik und Forschung, die vielleicht mehr auf die Natur des Menschlichen einwirken. Denn klar ist, dass unsere Systeme der Verwaltung, der Bildung, der Demokratie an sich, von Nicht-Menschlichen Akteuren demnächst bedient werden. Insofern ist jegliche nicht normative Verhaltensweise in Kunst und Wissenschaft und im Generellen an fest vorgegebene Muster der KI gehängt. Also drehen wir uns, wie
von anderen schon erwähnt in Echokammern unserer Programmierungen im Kreis. Egal ob man mit aus der Psychologie stammenden Termini hantiert oder aus der Systemtheorie von feedbackgesteuerten physiologischen Kreisläufen argumentiert, das Ergebnis ist dasselbe: Es gibt keine Neuerungen, wenn wir nicht aus den vorhandenen Regulatorien aussteigen. In der Kunst haben wir Institutionskritik und Selbstbeobachtung längst überwunden, wir befinden uns im biologistischen Zeitalter, wo all diese alten Umschreibungen keine Bedeutung mehr haben. Der einzig noch unbearbeitete Faktor der neuen Ordnung heißt „Komplexität anerkennen“ und Interdependenz mitdenken. So funktioniert die Natur an sich und die Natur des Geistes sollte in diese Richtung geformt sein.