Nana Petzet

Das SBF-System – Paralysed by the Recycling Paradise

Eine künstlerische Recherche zur Abfallwiederverwertung in Addis Abeba
27. Mai – 6. Juni 2011

 

 

Nachdem Tesfahun Kibru, Helen Zeru und ich am 4.Juni die vielfältigen Ergebnisse unserer einwöchigen Zusammenarbeit im Goethe Institut vorgestellt hatten, sagte Tamirat Gezahegn vom Netsa Art Village, er fände es schön, dass sich eine Recyclingkünstlerin aus Deutschland hier offensichtlich wie im Paradies fühle, in diesem Recyclingland. Ich hatte zunächst »paralysed« statt »in paradise« verstanden und wir haben alle sehr gelacht. Denn auch das war zutreffend.

Äthiopien ist meine erste Begegnung mit einem Entwicklungsland. Die Millionenstadt Addis Abeba schien mir zunächst zum größten Teil aus einstöckigen, dörflich wirkenden Häusern mit Wellblechdach zu bestehen. Kaum zu unterscheiden, ob etwas aufgebaut wird oder bereits wieder auf seinen Abriss wartet. Bestimmend ist das Prinzip des Wandels und der Improvisation: nichts fest an seinem Ort, nichts neu, nichts ganz.

Mit der Einführung des Grünen Punkts durch das DSD (Duales System Deutschland) wurde 1992 in Deutschland das Recycling von Verkaufsverpackungen als Lösung aller Entsorgungsprobleme propagiert, obwohl es – z.B. auf dem Getränkeverpackungssektor – ein gut funktionierendes Mehrwegsystem gab. Müllvermeidung und Mehrwegsysteme traten in den Hintergrund. Mein Gegenmodell – Das SBF-System – setzt bei dem vom DSD propagierten »Wertstoffbegriff« an: Wenn der Grüne-Punkt Müll tatsächlich »Wertstoff« ist, warum soll ich ihn nicht selbst recyclen und einer neuen Funktion zuführen? 1998 habe ich einen Selbstversuch „Wohnen nach dem SBF-System« durchgeführt und sämtliche in unserem Vierpersonenhaushalt anfallenden Verkaufsverpackungen gesammelt, gereinigt, gelagert und zu Gebrauchsgegenständen verarbeitet, die ich in den Haushalt integrierte. Dass mein so gebastelter Hausrat eine starke Verwandtschaft mit Recyclingobjekten aus Entwicklungsländern hat, war mir bewusst. Als Künstlerin der Ausstellung »zur nachahmung empfohlen«, die im Mai nächsten Jahres internationale Positionen zum Themenkreis Kunst und Ökologie in Addis Abeba zeigen wird, war ich deshalb sehr erfreut, als sich Dank der Einladung des Goethe-Instituts und der Heinrich-Böll-Stiftung die Möglichkeit eröffnete, einen Bezug zur äthiopischen Wirklichkeit herzustellen.

Mit unserem Team, dem Fahrer Bushe und den beiden jungen Künstlern Helen Zeru und Tesfahun Kibro, beide Absolventen der hiesigen Kunsthochschule und im Netsa Art Village engagiert, sammelte und dokumentierte ich beispielhafte Recyclingobjekte auf dem »Merkato«, einem großen Markt im Zentrum von Addis Abeba, der eine große Recycligabteilung hat. So entstand eine Sammlung von 44 Objekten, die einen Querschnitt durch das handwerkliche Recycling von Verkaufsverpackungen bieten. In Handarbeit entstehen von einem großen Konsumentenkreis geschätzte Haushaltsgegenstände: Verpackungen werden zu Gegenständen umfunktioniert, die vom hiesigen Alltag erzählen, vom Kochen auf offenem Feuer, vom Wäschewaschen im Boden eines Ölkanisters, von der Aufbewahrung von Lebensmitteln ohne Kühlschrank. In einem Laden in der Metallverarbeitungsgasse kauften wir unter anderem eine Anzahl von Objekten, die aus Konservendosen hergestellt waren und erfragten bei dem Händler, der auch selbst Handwerker war, aber nicht alle Gegenstände selbst hergestellt hatte zu jedem Gegenstand neben dem Preis auch Provenienz, Herstellungszeit und Ausgangsmaterial. Helen Zeru dokumentierte die Situation mit der Kamera.

Mit meinen eigenen Patenten komme ich nur im Handarbeitsbereich an die Qualität und Ernsthaftigkeit der hiesigen Produkte heran. Vor allem im Bereich der Metallverarbeitung fehlen mir die technischen und handwerklichen Mittel.

Als ich beim Schreiben dieses Berichts meine Aufzeichnungen aus Addis Abeba durchsah, stieß ich auf die Notiz: Life is abstract art (Tesfahun). Ich denke dabei an seine Aktion mit dem ausgeschlachteten Kühlschrank. Seit drei Jahren stehen in Addis Abeba große offene Abfallcontainer,– ein Bindeglied zwischen den Privathaushalten und der zentralen Müllkippe, die wir im Rahmen unserer Recherche ebenfalls besucht haben. Als wir am Tag vor unserer Abschlusspräsentation die letzten Objekte auf dem Merkato eingekauft hatten, entwickelte Tesfahun die Idee zu einer künstlerischen Aktion, die wir filmisch dokumentierten. Er holte das Gerippe eines großen Kühlschranks von einem übervollen Abfallcontainer, ein großer leerer schmutzigweißer Kasten, bedeckt mit Isolierschaum. Die äußere Ummantelung fehlte ebenso wie das gesamte Inventar. Tesfahun, der mit seinem ungewöhnlich wirkenden Recyclingoutfit immer die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zieht, löste auch jetzt Fragen und Diskussionen auf dem stark belebten Markt aus. Warum wählte er für die Kamera dieses elende Teil aus, das selbst hier wirklich keiner mehr haben wollte und verstaute es in einem Taxi? Das Kühlschrankskelett war als Sockel für eine seiner Skulpturen ausersehen, die er mit dem Film bei unserer Abschlusspräsentation zeigte. Der ausgeweidete, weißliche Rest eines Kühlschranks als Sockel, als Skulptur, als abstraktes Kunstwerk im Vortragssaal des Goetheinstituts von Addis Abeba zeigt, dass hier der Begriff »Wertstoff« eine wesentlich elementarere Bedeutung hat als in Deutschland. Dem deutschen Verbraucher muss der Begriff Wertstoff als Euphemismus erscheinen, denn er soll für die Entsorgung der unvermeidlichen Flut von Verkaufsverpackungen, die in jedem Haushalt automatisch anfallen, nicht nur bezahlen, sondern auch noch erhebliche Mühen auf sich nehmen, um die Verpackungen ordentlich wieder los zu werden. Deutschland hat nach der Einführung des Einweggetränkeverpackungspfands sicher eines der komplexesten und ausdifferenziertesten Abfallentsorgungssysteme der Welt. Ärgerlich ist nur, dass diese vor allem an Industrieinteressen ausgerichtete Politik, die dennoch so auf Mithilfe jedes einzelnen Verbrauchers angewiesen ist, einen extremen Energie- und Rohstoffverbrauch zur Folge hat. Müllvermeidung und direktes Recycling, wie es in Addis Abeba praktiziert wird, stellt tatsächlich den genauen Gegenpol zur deutschen Praxis dar und kann auch für die deutsche Situation neue Denkanstöße liefern, in Richtung auf einen nachhaltigeren Umgang mit den Dingen des täglichen Gebrauchs. Ich werde ab jetzt jedenfalls an den Gebrauchtpapierladen auf dem Merkato in Addis Abeba denken, in dem wir ein Kilo alte Zeitungen gekauft haben, wenn ich mein Altpapier in den Schlitz des Altpapiercotainers des Dualen Systems Deutschland stecke, eine Handlung die mir immer schon etwas absurd vorgekommen ist.
Text: Nana Petzet

Alle Bilder Copyright Nana Petzet