Cornelia Hesse-Honegger
Heteroptera – Bilder einer mutierenden Welt
Weichwanze (Miridae), 1988, Aquarell, 42 x 29,7 cm, Zürich, CH; Kopf einer Weichwanze aus Schönenwerd, Kanton Aargau, nähe des Atomkraftwerks Gösgen. Aus dem Auge wächst eine Zyste und die Facetten sind unregelmässig und zum Teil zu groß.
Ab 1967 malte ich mutierte Frucht- und Stubenfliegen, die im Labor vergiftet oder bestrahlt worden waren, um Mutationen zu erzeugen. Sie wurden für mich zu Prototypen, zu Visionen einer zukünftigen menschgemachten Naturform. 1968 malte ich die erste Wanze Heteroptera, weil ich sie so schön fand.
Seither sammle ich diese Insekten in verschiedenen Biotopen und male sie bis heute.
1987, ein Jahr nach dem Unfall von Tschernobyl, begann ich damit, systematisch Wanzen zu sammeln. Ich sammelte in Gebieten, die von der Wolke von Tschernobyl radioaktiv verseucht worden waren und im Umfeld von Atomanlagen. Die gesammelten Insekten – über 16 000 – untersuche ich mit Hilfe der Binokularlupe. Dabei unterscheide ich zwischen »morphologischen Schäden« und »allen Schäden«. Morphologische Schäden sind Deformationen am Körper wie ungleichlange Flügel, fehlendes Segment im Fühler oder kürzerer Fühler. Ebenfalls zusammengewachsene oder deformierte Abdominalsegmente, asymmetrischer Thorax, oder Deformationen an Beinen und Füßen. »Alle Schäden« beinhalten alle morphologischen Schäden, sowie dunkle Flecken, Pigmentveränderungen, Löcher, Fehlbildungen des Materials (Chitin). Die Schädigungsrate in allen untersuchten Gebieten beträgt bei »morphologischen Schäden« 22 Prozent, bei »allen Schäden« 30 Prozent. Um die Schäden vergleichen zu können, sammle ich per Untersuchungsstandort 50 oder 65 Wanzen. Diese Wanzen sammle ich mit Plastikbechern in intakten Biotopen und narkotisiere sie für die äußere Untersuchung. In der Nähe von Zürich, wo ich von 1968 bis 1989 313 Wanzen sammelte, in Ghana, wo ich 1971 50 Wanzen sammelte und in Costa Rica, wo ich 2005 63 Wanzen untersuchte, existierten Referenzbiotope, in denen dazumal keine Wanze morphologische Schäden aufwies. Während der Feldstudien erstelle ich Farbskizzen, aus denen ich später im Atelier minutiöse Aquarelle mache. Die Arbeit mit den Wanzen berührt und fasziniert mich und ist mein Beitrag zu den Bemühungen, unsere Natur zu erhalten.
Cornelia Hesse-Honegger
Weiteres Material
taz – Verstrahlte Schmetterlinge: Mutanten aus Fukushima (german)