Di. 06.06.2023 | 19:30 Uhr
Gespräch über den Fonds Ästhetik und Nachhaltigkeit | FÄN
Anne Schneider | Regisseurin, Konzepterin im Gespräch mit Dr. Tobias Knoblich | Kulturwissenschaftler, Präsident Kulturpolitische Gesellschaft, Prof. Dr. Vera Meyer | Biotechnologin (Mind the Fungi! Engage with Fungi!) und Künstlerin ZNE!, Dr. Christine Fuchs | Leiterin STADTKULTUR Netzwerk Bayerischer Städte e.V.
Panel in deutscher Sprache
Diskussion zum FÄN
In den Abendgesprächen der Ausstellung ZUR NACHAHMUNG EMPFOHLEN! sprachen am 6. Juni 2023 die Regisseurin und Konzepterin Anne Schneider mit der Juristin und Bildenden Künstlerin Dr. Christine Fuchs, dem Präsidenten der Kulturpolitischen Gesellschaft Dr. Tobias J. Knoblich und der Wissenschaftlerin und Künstlerin Prof. Dr.-Ing. Vera Meyer über die Notwendigkeit der Einrichtung eines Fonds für Ästhetik und Nachhaltigkeit (FÄN).
Durch die Exponate und Philosophie der Ausstellung wurde über die Laufzeit von 13 Jahren das Konzept für einen FÄN von Adrienne Goehler nach Anregungen von Künstler:innen und Wissenschaftler:innen ausgearbeitet und beworben. Entstanden ist es aus der Erkenntnis, dass die aktuellen Förderinstrumente keine Disziplinen übergreifende Forschung ermöglichen und die innovative Wirkkraft der Künste dadurch massiv einschränken. ZUR NACHAHMUNG EMPFOHLEN! gibt einen Einblick, was durch Verflüssigung und Verflechtungen der Disziplinen an sinnlicher Erkenntnis möglich wird.
Unterstützt wird der FÄN mittlerweile von 194 namenhaften Menschen aus der Kunst, der Wissenschaft und dem „Dazwischen“.
Im Gespräch der vier Unterstützer:innen des FÄN wurden wichtige Argumente und persönliche anschauliche Beispiele zur weiteren Unterfütterung gesammelt.
Prof- Dr.-Ing. Vera Meyer stellte anhand ihrer eigenen Forschungsarbeit plastisch dar, wie sich die Innovationskraft ihrer Kunst entfalten konnte, als sie diese mit ihrer Forschung an pilzlichen Stoffwechselpotentialen an der TU Berlin zusammenführte und darüber völlig neue Erkenntnisse gewann. Sie leitet dort seit 2011 den Lehrstuhl für Molekulare und Angewandte Mikrobiologie.
Ihre inter- und transdisziplinären Forschungsvorhaben verbinden mittlerweile Natur- und Ingenieurswissenschaften mit Kunst, Design sowie Architektur und entwerfen biobasierte Szenarien für mögliche Lebens- und Wohnwelten der Zukunft.
Vera Meyer, die sich selbst als Grenzgängerin bezeichnet, machte deutlich, dass es für den Erkenntnisgewinn als auch die Vermittlung wissenschaftlicher Forschungsarbeit essentiell sei, diese mit sinnlichen Erfahrungsräumen wie sie nur durch Kunst möglich würden, zu verweben
und damit zugänglich und nachvollziehbar zu machen. „Es geht um Begreifen im wortwörtlichen Sinn. Wissenschaft ist nur ganzheitlich, wenn sie Kunst und Gesellschaft integriert. Es geht immer um diesen Dreiklang.“
Im weiteren Gesprächsverlauf ging sie auf zahlreiche Erfindungen und Erkenntnisse ein, die nur durch die Verwebung von Kunst mit anderen Disziplinen möglich waren, wie etwas bei Goethe, Kant, Humboldt oder Galileo Galilei. „Wir müssen davon ausgehen, dass die Zeichnungen, die Galileo von dem Mond gemacht hat, dazu geführt haben, dass er verstanden hat, dass der Mond sich um die Erde dreht.“ berief sie sich auf ein Buch von Horst Bredekamp.
Dr. Christine Fuchs, die ihre Promotion unter dem Titel “Avantgarde und Erweiterter Kunstbegriff – Eine Aktualisierung des Kunst- und Werkbegriffs im Verfassungs- und Urheberecht“ geschrieben hat, gab zunächst Einblick in eine ihrer transdisziplinären Arbeiten, die in den letzten Jahren die künstlerischen Potentiale im Gesundheitswesen auslotet. Sie unterstützt den FÄN seit Anbeginn und setzte sich in ihrer kulturpolitischen Funktion (Christine Fuchs leitet das Städtenetzwerk STADTKULTUR Netzwerk Bayerischer Städte e. V. und arbeitet mit 60 Kulturkommunen zu aktuellen kulturpolitischen Themen) auch für die Realisierung der Ausstellung „Zur Nachahmung empfohlen’ ein.
Aufbauend auf ihrer Dissertation vertrat Christine Fuchs die Position, dass in Deutschland aufgrund der historisch erlebten Vereinnahmung bzw. Reglementierung der Künste eine Kunstauffassung verbreitet sei, die die künstlerische Autonomie betone und Kunst, die nicht nur Selbstzweck ist, sondern sich auch mit weiteren Zwecken befasst und gesellschaftlich wirken
will, mit Misstrauen begegnet wird. Es sollten aber auch die Wirkungen und Wirkmöglichkeiten der Künste bedacht werden.
„Es geht ja um eine Erweiterung der Kunstfreiheit. Wir haben immer Kunst gehabt, die auf gesellschaftliche Veränderung gezielt hat, die dann wieder – und das ist eine historische Erfahrung – in die Feuilletons zurückgeholt wurde, in das Museum. Der Gestus „Ich möchte Wirklichkeit gestalten“ wird dadurch neutralisiert. Und das ist der Grund, warum ich mich von Anfang für den FÄN eingesetzt habe, weil es ein Instrument braucht über das man diese Impulse aufgreifen und sie mit anderen Bereichen zusammenbringen kann, damit aus Kunst auch Realität werden kann.“
Dr. Tobias J. Knoblich bezeichnete Künstler:innen in diesem Kontext als Sehende. In der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft würden sie oftmals wichtige Reflexionsebenen erschließen und Impulse für Veränderungsprozesse geben. Es sei Aufgabe der Kulturpolitik, Grundlagen dafür zu schaffen, dass dieses Potential sich auch entfalten könne. Es gehe nicht darum, allen Künstler:innen vorzuschreiben, im Sinne eines Fonds für Ästhetik und Nachhaltigkeit zu arbeiten (und damit die Kunstfreiheit zu beugen), sondern vielmehr darum, spezielle Ressourcen zusätzlich zu bestehenden Instrumenten zur Verfügung zu stellen, damit Künstler:innen, deren Arbeit sich durch horizontale Verbindungslinien zwischen den Disziplinen auszeichnet, in die Lage versetzt werden, entsprechend agieren zu können.
In Erfurt wird nächstes Jahr ein Förderbudget ‚Kultur hallt nach’ realisiert, das entsprechende Verbindungen der Künste mit anderen Disziplinen unterstützt. Alle zwei Jahre gebe es solch einen thematisch formbaren Fördertopf mit 300.000 EUR der nun einmal dem Thema Nachhaltigkeit gewidmet werde. „Nach dem fundamentalen kulturellen Versagen im Anthropozän müssen wir uns fragen, wie wir mit unseren Sinnesressourcen so umgehen, dass eine Veränderung möglich wird“, begründete Tobias Knoblich seinen Einsatz für dieses Projekt.
Vera Meyer betonte, dass es aufgrund der Komplexität der aktuellen Geschehnisse vor allem wichtig sei, im Denken und im Handeln von einem ‚Ich’ zu einem ‚Wir’ zu kommen: „Da keiner
von uns diese Welt mehr alleine verstehen kann ist es umso wichtiger, viele Menschen mit verschiedenen Perspektiven zusammenzuführen.“ Es sei vor allem notwendig, dass komplizierte wissenschaftliche Zusammenhänge erfahrbar und damit verständlich gemacht würden. Die Herausforderungen vor denen wir stehen, sind nur durch Kunst zu durchdringen.“
Christine Fuchs ergänzte, dass es nicht nur um das bewusste Verstehen von Vorgängen und Zusammenhängen gehe, sondern auch um das unbewusste Verstehen, um sinnliche Erkenntnisse, (= Ursprung des Begriffs Ästhetik ist). „Ich würde mir wünschen, dass wir, wenn
wir über Kunstförderung und die notwendigen Änderungen nachdenken, nicht nur über die Gestaltungsbereiche nachdenken, sondern auch über die Wirkbereiche von Kunst.“
Vera Meyer führte in Ergänzung hierzu Beispiele aus, wie Kunst in der Vergangenheit als Innovationsmotor gewirkt habe. So habe etwa der Künstler Philip Ross durch die künstlerische Forschung an Pilzen die Grundlagen für nachhaltiges tierfreies Leder entwickelt. „Es geht um ein Outside-the-Box-Denken, das erst neue Fragen entstehen und damit andere Antworten möglich werden lässt.“
Christine Fuchs führte weiter aus, dass in der kulturellen Praxis anderer Ländern die interdisziplinäre Arbeit für Künstler:innen leichter sei. Museen in anderen Ländern – beispielsweise im angloamerikanischen Raum – würden beispielsweise Räume für Regeneration oder auch Kunsttherapie haben.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs ging es um die Frage, wie der FÄN endlich Realität werden kann.
Tobias J. Knoblich hob hervor, dass aus kulturpolitischer Perspektive keine schlüssigen Argumente gegen einen FÄN sprächen. Das immense Potential der Ästhetik als Moment der sinnlichen Erkenntnis sollte vielmehr verstärkt in den Fokus genommen werden. Die Kulturpolitische Gesellschaft setze sich für Konzepte ein, die transdisziplinär und gesellschaftspolitisch ausgerichtet seien.
Vera Meyer betonte, dass der FÄN nur im Zusammenspiel verschiedener Ebenen und „Wir’s“ gelingen könne. Das bestehende Silo-Denken und Zuständigkeitsschranken müssten überwunden werden. Im Idealfall würde bereits die Struktur und Finanzierung des Fonds für Ästhetik und Nachhaltigkeit die Pluralität abbilden, die durch ihn ermöglicht werden soll.
Unter Beteiligung des sehr interessierten und gesprächigen Publikums wurde die Idee entwickelt, eine an Commoning-Prinzipien angelehnte Struktur aufzubauen. Neben einem von Künstler:innen getragenen Genossenschaftskonzept wurde die Idee diskutiert, dass ein Schneeball-System (Eine Person gibt einen Euro und findet zwei weitere Personen, die ebenfalls einen Euro geben und jeweils wieder zwei Personen finden, …) den Grundstock des Fonds bilden könnte.
Christine Fuchs hob hervor, dass die Beteiligung der politischen Ebenen ebenfalls essentiell sei und als Entscheidungsträger:innen verantwortlich eingebunden sein sollten. Außerdem wurde deutlich, dass schon in Kindergärten, Schulen und an Universiäten künstlerische Arbeitsweisen genutzt werden sollten, um fächerübergreifend komplexe Sachverhalte zu vermitteln. Beispielhaft wurde ein Projekt vorgestellt, in dem eine Schulklasse über ein Schuljahr hinweg mit einem Künstlerinnen-Team das Thema Wasser erforschte. Statt Expert:innen auszubilden, müssten Kinder wieder viel ganzheitlicher lernen und forschen.
Mit Blick auf Pluralität und Ganzheitlichkeit sammelten sich Stimmen, die sich für „Verknüpfer:innen’ aussprachen: Zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Kunst müsse der Austausch intensiviert werden.
Die Diskussion endete mit konkreten Taten: Aus dem Publikum stiftete eine Person den ersten Euro für einen Grundstock des FÄN. ( ;- )
Anne Schneider, Christine Fuchs, Tobias J. Knoblich, Vera Meyer